Kreativität entsteht aus Fülle und Hülle...


Wo hast du bloß immer die Ideen her?

Ob beim Kochen, Werkeln oder Seminarkonzepte-Entwerfen: Die Frage, woher ich meine immer wieder neuen, überraschenden oder ausgefallenen Ideen nehme, wird mir häufiger gestellt. Bisher habe ich meist mit meiner Kindheit und der kreativen Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, geantwortet. Das ist auch mit Sicherheit eine richtige Antwort, aber ist es die ganze?

Gestern fand ich ganz hinten im Bücherregal ein Büchlein mit dem Titel "Kreativitätstechniken". Ich wusste gar nicht mehr, dass ich dieses Buch besaß - erinnerte mich aber dunkel, dass ich es vor etlichen Jahren gekauft hatte, als ich mich gerade selbstständig machte und Seminarkonzepte entwarf.

Das Buch brachte mich auf die Idee, endlich einmal eine ausführlichere Antwort auf die Frage "Wo hast du bloß immer die Ideen her?" zu geben. Denn ich bin überzeugt, dass Kreativität weder allein in der Kindheit noch durch das spätere Erlernen von Kreativitätstechniken entsteht. Wobei beides sicher nicht schadet. Aber wenn es auch nutzen soll, müssen wir bestimmte Grundvoraussetzungen schaffen, damit Kreativität - also die schöpferische Kraft in Hobby, Haushalt und Beruf - überhaupt entstehen kann.

Kreativität entsteht aus Fülle...

Die wichtigste Grundvoraussetzung ist die Fülle - also ein großer Vorrat an "Rohstoffen", Werkzeugen und Hilfsmitteln. Kreativität bedeutet ja "schöpferisches Denken, Produktion von originellen Einfällen, die zum Erkennen und zur Lösung von Problemen führt". Wie soll ich eine originelle Idee entwickeln, wenn ich nichts habe, womit ich die Idee umsetzen kann? Oder: Wie lange hält meine Motivation, eine gerade in einem Buch entdeckte super Sache zu realisieren, wenn ich weder Rohstoffe noch Werkzeuge habe? Oder andersherum: Wovon soll ich mich inspirieren lassen, wenn ich nichts habe, das mir als Anregung dienen könnte?

Wenn wir ein Problem lösen wollen (Was koche ich heute? Wie motiviere ich meine Mitarbeiter/innen? Was könnte ich denn mal wieder malen, zeichnen, werken, basteln, nähen, gestalten?), dann hilft uns oft der Blick in unsere Schränke, Kisten, Schubladen, Regale, Notizbücher, Dateiordner oder Lesezeichensammlungen, in denen wir eine ordentliche Menge an "Rohstoffen" aufbewahren und lassen uns inspirieren.
  • Beim Kochen:  Wir entdecken ein tolles Rezept, haben aber nicht ansatzweise die angegebenen Zutaten, insbesondere Gewürze, zur Hand. Dann sind wir frustriert, verschieben das Nachkochen auf irgendwann und essen stattdessen 08/15 (och nö, jetzt habe ich mal schnell nachgeschaut, woher die Redewendung 08/15 eigentlich kommt und musste feststellen, dass sie militärischen Ursprungs ist :-(
    Um den oben beschriebenen Frust zu vermeiden, habe ich eine Fülle von (lange haltbaren) Zutaten und Gewürzen immer im (Gefrier-)Schrank. Auch meine Küchenausstattung mit vielen nützlichen Werkzeugen erleichtert mir das spontane Kochen sehr. Und wer auf diese Weise viel kocht, wird mit der Zeit viel Erfahrung sammeln und dann ganz spontan selber neue Rezepte kreieren. So wie ich vorgestern: Ich sitze im Arbeitszimmer, schaue auf die Uhr und denke "oh, es ist Zeit, etwas zu kochen - bloß was? - hm, da sind noch so viele Möhren im Kühlschrank", gehe die Treppe hinunter in die Küche, nehme die Möhren aus dem Kühlschrank, sehe daneben die Süßkartoffeln und - erfinde Möhren-Süßkartoffel-Rösti mit Orangen-Chili-Quark. Leckerrrrr.
  • In Freizeit und Hobby: Wir möchten einem lieben Menschen ein schönes, individuelles Geschenk machen und stöbern deshalb in entsprechenden Internetforen und entdecken dort etwas richtig Tolles, das wir am liebsten sofort in die Tat umsetzen wollen. Leider befinden sich die wichtigsten benötigten Materialien, ein bestimmtes Werkzeug und ein spezieller Klebstoff nicht in unserem Besitz. Projekt gestorben. Es wird ein Allerwelts-Geschenk gekauft.
    In meinen Schränken, Kisten, Schubladen und Regalen befinden sich deshalb jede Menge Rohstoffe, Materialien, Werkzeuge, Hilfsmittel (z.B. Klebstoffe, Schleifpapier, Pinsel) und Farben. Wer auf diese Weise viel Erfahrungen sammelt mit dem Umsetzen von Anleitungen aus Büchern und/oder Internetforen, wird mit der Zeit immer mutiger, immer kreativer, immer geschickter und immer einfallsreicher beim Entwerfen und Gestalten ganz eigener Projekte.
  • Im Beruf: Wenn ich ein Seminar plane und mir kurz vorher eine befreundete Schulungsexpertin von ihrem letzten Seminar erzählt, dann würde ich das vielleicht auch gern in mein Konzept mit einbauen. Da meine Kollegin aber in einer ganz anderen Branche unterwegs ist als ich, kann ich die Idee nicht 1:1 übernehmen. Also suche ich nach weiteren Anregungen in meiner umfangreichen und gut verschlagworteten Linksammlung, in meinen Mindmaps und Notizbüchern und stricke daraus eine maßgeschneiderte Seminareinheit. Das Material zur Umsetzung habe ich selbstverständlich auf Lager. Mit der Zeit und der Erfahrung entwickele ich immer mehr eigene Ideen - und ich gebe diese wiederum gern an Kolleg(inn)en weiter.
Diese Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, sich aus einem Füllhorn bedienen zu können. Und wer Kinder hat, wird dafür sorgen, dass immer genügend Stifte, Farben, Papiere, Kleber, Knete,... vorhanden sind. Denn wie gesagt: Eine anregende Umgebung schadet auf gar keinen Fall.



Kreativität braucht eine Hülle...

Kreative Menschen neigen dazu, ständig neue Ideen zu produzieren und deshalb gar nicht zu wissen, wohin damit, bzw. haben Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen und eine Auswahl zu treffen. Deshalb ist - neben der Fülle - die Hülle genauso wichtig. Mit Hülle meine ich hier Umhüllung im Sinne von Begrenzung, Einzäunung, Beschränkung der Fülle.
  • Beim Kochen: Hätte ich jederzeit alles zur Verfügung, was eventuell in einem Rezept vorkommen könnte - bzw. würde ich immer sofort losrennen, um das Fehlende zu kaufen, dann würde ich zwar wahrscheinlich trotzdem ganz gut nachkochen können. Kreatives Kochen aber ist mehr: Eigene Gerichte entwerfen oder vorhandene Rezepte abwandeln, ergänzen, Zutaten ersetzen oder die Anleitung als Anregung für etwas ganz anderes nutzen. Dabei hilft mir die Begrenzung. Am kreativsten bin ich, wenn ich eingeschränkt bin durch den Vorrat an frischen Lebensmitteln, durch drohenden Ablauf von Haltbarkeitsdaten oder durch Reste, die ich unbedingt rechtzeitig verarbeiten möchte (z.B. von Quark oder Käse). So kaufe ich z.B. meistens samstags auf dem Wochenmarkt einen überschaubaren Vorrat an frischem Bio-Gemüse und -Obst - je nach Lust, Laune und Verfügbarkeit. Das Kriterium "Regionalität" spielt bei der Auswahl eine ebenso wichtige Rolle wie der Saisonkalender. Im Laufe der Woche koche ich dann die Vorräte weg. Ich lassen mich also von den begrenzten Zutaten inspirieren.
  • In Freizeit und Hobby: Wenn ich alle Ideen, die ich habe, umsetzen könnte, dann würde ich mich nie entscheiden können, womit ich anfangen soll oder was ich überhaupt machen möchte. Die Begrenzung meiner verwendeten Rohstoffe (bei mir fast ausschließlich Altmaterial, Pflanzen und Papier), die Beschränkung auf einige wenige Techniken (bei mir am liebsten Papiermaché, Falten, Schneiden, Kleben, Zeichnen) oder das Ziehen eines engen Zauns um die Materialien und Hilfsmittel (möglichst umweltfreundlich, so wenig wie möglich) bilden den notwendigen Rahmen - die Hülle - für meine Fülle an Ideen. Eine befreundete Künstlerin beschränkt sich auf die Farben Rot und Blau in ihren Gemälden.
  • Im Beruf: Auch im beruflichen Umfeld nützt alle Kreativität nichts, wenn ich munter drauflos spinnen kann und mich nichts und niemand bremst bzw. mir einen Rahmen vorgibt. Die Einschränkung, die ich in diesem Fall brauche, sind ein klar definiertes Ziel und/oder Vorgaben des Auftraggebers. Und ob uns das gefällt oder nicht: Eine Obergrenze für das Budget ist in den meisten Fällen sowieso festgelegt. Alle kreativen Ideen, Mittel und Methoden, die dem Erreichen des (Unternehmes-, Seminar- oder Abteilungs-)Ziels dienen, sind nützlich. Kreativität, die diese Hülle nicht hat, wird mehr Frust als Lust produzieren.

Kreativität entsteht durch Inspiration, Meditation und Organisation

Fülle und Hülle sind die Grundvoraussetzungen, um kreativ tätig sein zu können. Doch es gibt noch ein paar mehr Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um schöpferisch denken, originelle Einfälle produzieren und Probleme erkennen und lösen zu können. Das gilt auch und gerade für Menschen aus der sogenannten Kreativwirtschaft (meiner Erfahrung nach kommen viele unter dem Druck, ständig kreative Ideen produzieren zu müssen, gar nicht mehr dazu, sich inspirieren zu lassen, nachzudenken oder sich bzw. ihre Ideen zu organisieren).

  • Inspiration: Niemand ist unbegrenzt aus sich heraus zu immer neuen innovativen und kreativen Einfällen fähig. Meiner Erfahrung nach zeichnen sich kreative Menschen dadurch aus, dass sie offen und neugierig durch die Welt spazieren, dass sie ungewohnte Perspektiven einnehmen und ausgetretene Pfade verlassen können, dass sie nichts als selbstverständlich oder unmöglich hinnehmen. Und dass sie begeisterungsfähig sind und Mut zum Risiko haben. Mut zum Risiko? Ja, denn wenn ich etwas Neues ausprobiere, muss ich immer auch damit rechnen, dass es schiefgeht. Damit muss ich umgehen können.
    Und diese Menschen - wie ich auch - gewinnen ihre Inspiration aus Büchern, Zeitschriften, Katalogen, Kongressen, Filmen, Theaterstücken, Ausstellungen, Internetportalen, Blogs... Mit anderen Worten: Wir schauen, was andere so machen. Und lassen uns dadurch zu eigenen Kreationen inspirieren.
  •  Meditation: Nein, ich gehöre ich nicht zu den Anhängerinnen einer fernöstlichen Religion. Mit Meditation meine ich, dass  Menschen Rückzugsräume (physisch und mental) brauchen, um kreative Ideen (weiter) zu entwickeln, zu verwerfen, zu modifizieren oder ganz und gar die Richtung wechseln lassen. Mit anderen Worten: Wer sich niemals die Zeit nimmt, sich mit einem Buch, einer Zeitschrift und vor allem auch nur mit den eigenen Gedanken zurückzuziehen, wird kaum Innovatives hervorbringen können. Denn zum Kreativsein gehört auch, die Inspirationen bewusst aufzunehmen, zu verarbeiten, zu prüfen, abzuwägen,... Man könnte auch sagen: Wir brauchen erstens Zeit zum Nachdenken und zweitens Ruhe zum Machen.

    Bei mir heißt das zum Beispiel: Beim Kochen vertrage ich keine Gespräche oder das Nachdenkenmüssen über irgendwas, das nichts mit Kochen zu tun hat. Kochen ist für mich so was wie Meditation. Und das heißt bei mir auch, dass ich jeden Morgen so früh aufstehe, dass ich immer noch Zeit habe, mindestens eine halbe (lieber eine ganze) Stunde allein mit einer Tasse Kaffee, einem Keks, einer Zeitschrift und meinen Gedanken sein kann, bevor die Geschäftigkeit des Tages beginnt. Diese Zeit schenke ich mir (und wenn ich dafür um halb fünf aufstehen muss, weil ich mal besonders früh mit der Bahn irgendwohin hin muss - passiert glücklicherweise nicht häufig). Apropos Bahn: Längere Bahnfahrten eignen sich wunderbar zum Meditieren (vorausgesetzt, man hat für den Notfall "meditative"  Musik und dicht sitzende Ohrhörer dabei und kann andere Geräusche ausblenden). Spaziergänge und Wanderungen durch unbekanntes Terrain oder Joggen sind ebenfalls wunderbare Gelegenheiten zur Besinnung, zum Nachdenken, zur inneren Einkehr.
  • Organisation: Die besten Inspirationen und das Meditieren darüber nützen nichts, wenn ich meine Gedanken dazu nicht irgendwann organisiert ablege. Nur so kann aus der tollen Idee auch ein tolles Projekt/Produkt werden. Das heißt: Ich habe unterwegs immer ein kleines Notizbuch und eine Kamera dabei und schreibe Ideen sofort auf bzw. fotografiere interessante Plakate, Muster, Sprüche... Statt schriftlicher Notizen kann man sich selbstverständlich auch gesprochene Notizen machen - das Smartphone machts möglich. Am Schreibtisch heißt mein Notizbuch Laptop bzw. Internet. Inspirationen halte ich z.B. fest über Pinterest, diigo oder clipix, Inspirationen in konkrete Projekte verwandeln kann ich - zumindest im beruflichen Kontext - am besten mittels Mindmap (mit MindMeister z.B. kann man auch wunderbar im Team kreativ sein). Und für Experimente, Muster, Entwürfe und vorläufig Verworfenes habe ich eine Art Kladde, in die ich alles reinklebe oder direkt male/zeichne, was mir in den Sinn kommt bzw. was ich nur mal so ausprobiert habe und später vielleicht nochmal verwenden könnte.
So, und nun können auch Kreativitätstechniken vielleicht noch einen zusätzlichen Motivationsschub bringen.

Hinweis: Dieser Blogbeitrag wird von mir ergänzt durch eine aktuelle, häufig aktualisierte und kommentierte Linkliste (die auch abonnierbar ist).

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