Backen ist nicht kreativ. Soso.

Beispiel für kreatives Backen: Parmesan-Leinsamen-Knäckerli

Hab ich's doch geahnt. Unsere Lokalzeitung hatte zum Thema "Adventsbäckerei" auch einen Beitrag zum Nichtbacken angekündigt - und ich wusste im Voraus, dass hier als Begründung wieder einmal behauptet werden würde, Backen sei so unkreativ. Und so kam es auch. Und weil ich mich über diese eindeutige Falschaussage schon so oft aufgeregt habe, schreibe ich mir meinen Ärger hier einmal von der Seele.

Der Autor schreibt nicht nur, "beim Backen muss man sich streng an Rezepte halten" - er beruft sich auch noch auf den bekannten Koch Tim Raue, der das Backen hasse. Nun, Tim Raue bekennt sich in der Tat dazu, Backen nicht zu können - ob er es deshalb gleich hasst? Wie auch immer, wer eine Disziplin nicht beherrscht, kann darin logischerweise auch nicht kreativ werden. Und Kochen und Backen sind eben zwei ganz unterschiedliche Disziplinen. Nicht jeder, der gern kocht, muss auch gern backen (gilt umgekehrt natürlich genauso).

Leider behaupten ausgerechnet Nichtbäcker/innen immer wieder, dass man beim Backen im Gegensatz zum Kochen nicht kreativ sein könne, weil man sich genauestens an vorgegebene Rezepte halten müsse. Ich frage mich, wer dieses Gerücht eigentlich in die Welt gesetzt hat - und das anscheinend so überzeugend, dass es als vermeintliche Wahrheit ständig reproduziert wird und als Rechtfertigung für die Unlust aufs Backen herhalten muss.

Wäre Backen tatsächlich so unkreativ, könnten ja niemals neue Rezepte und neue Backbücher entstehen. Die Realität aber spricht da doch eine ganz andere Sprache. Und diese Sprache beherrschen nicht nur Berufsbäcker und -bäckerinnen, sondern - wie die Blogger- und Backbuch-Szene beweist - auch unglaublich viele Hobbybäcker/innen.


Ich selbst backe niemals nach Rezept, sondern nehme wie beim Kochen ein existierendes Rezept nur als Anregung, lasse mich inspirieren und gehe äußerst kreativ an's Werk. Und dank meiner jahrzehntelangen Erfahrung geht dabei so gut wie nie mehr etwas richtig schief. Und wenn mal doch etwas nicht erwartungsgemäß gelingt, dann entsteht daraus oft etwas völlig Neues, was wiederum weiterentwickelt werden kann. Mein großes Vorbild ist meine Mutter, die mich schon in meiner Kindheit motiviert hat, nach Herzenslust (übrigens nicht nur beim Kochen und Backen) kreativ mit vorhandenen Rohstoffen und Zutaten umzugehen und etwas Neues, Einzigartiges zu schaffen.

Einverstanden, beim Backen gibt es gewisse Grundsätze, die man besser berücksichtigt. Aber das gilt fürs Kochen ganz genauso. Bestimmte Mengenverhältnisse oder Kochtechniken sind die Grundlage für alle kreativen Tätigkeiten in der eigenen Küche. Wer die Grundtechnik für eine Sauce Hollandaise nicht beherrscht, wird keine anständige Sauce zustande bringen. Wer sie aber beherrscht, kann anschließend kreativ mit verschiedenen Zutaten bzw. Gewürzen werden. Wobei gerade bei diesem Beispiel der Kreativität durchaus Grenzen gesetzt sind, wenn man das gewünschte Ergebnis nicht aufs Spiel setzen will.

Beim Backen wiederum ist es tatsächlich sehr hilfreich und Voraussetzung für Kreativität, z.B. einen Rührteig von einem Mürbeteig unterscheiden zu können. Wer die Grundregeln aber beherrscht, kann nach Herzenslust variieren. Hilfreich für unfallfreies kreatives Backen ist es aber auch, über gewisse chemische und physikalische Zusammenhänge Bescheid zu wissen (oder sie intuitiv zu erfassen). Aber auch das gilt für kreatives Kochen gleichermaßen. Wobei die Grenzen zwischen Kochen und Backen ja durchaus fließend sind. Zumindest dann, wenn man sich mit Pizza, Flammkuchen, Tarte, Strudel u.a. beschäftigt...


Das vollständige Zitat von Tim Raue zum Thema Backen habe ich bisher leider noch nicht gefunden. Aber jemand, der dessen diesbezügliche Aussagen im Fernsehen verfolgt hat, erinnerte sich: Tim Raue habe zugegeben, dass er nicht gern backe, weil sich nach dem Backvorgang - also wenn das Gebäck aus dem Ofen kommt - nichts mehr am Resultat ändern bzw. korrigieren ließe. Stimmt. Wer den Zucker vergessen hat, kann den Fehler eben im Nachhinein nicht mehr ausgleichen. Die hohe Kunst des kreativen Backens ist es deshalb, das Endergebnis bereits in Gedanken vorzubacken. Insofern ist Backen tatsächlich schwerer als Kochen - und so soll es Tim Raue auch gemeint haben.

Niemand kann einem Hobbykoch vorwerfen, keine Lust aufs Backen haben. Die Begründung, Backen sei unkreativ, ist aber - sorry - schlicht und einfach falsch. Beim Kochen wie beim Backen gilt: Wer die Grundregeln beherrscht und eine gewisse Erfahrung besitzt, wird in beiden Disziplinen hochgradig kreativ sein können. Alle anderen halten sich besser genau an's Koch- oder Backrezept.

Übrigens: Der andere Tim unter den berühmten Köchen, der Tim Mälzer nämlich, hat in einem FAZ-Interview aus dem Jahr 2006 wunderbare Antworten auf die Frage "Was bedeuten Ihnen Plätzchen, Herr Mälzer?" gegeben.



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