Demokratisch gewählte Regierungen wählen nicht zwangsläufig die Demokratie - Ein paar Gedanken zum Internationalen Frauentag

8. März - Internationaler Frauentag. Bedeutet er uns etwas? Bedeutet er mir etwas?

Es war einmal vor langer Zeit (ich glaube, es war 1991), da durfte ich die erste öffentliche Rede meines Lebens halten - am Internationalen Frauentag im Hamburger Bezirk Nord, als Mitglied des SPD-Distriktsvorstands (ich war zuständig für "Frauenfragen"). Ähem, ja, ich habe meine ersten politischen Schritte als SPD-Mitglied gemacht. Aber weil ich schnell merkte, dass ich keine gute Sozialdemokratin abgeben würde, habe ich mein Parteibuch bald wieder zurückgeschickt.

Zunächst aber hatte ich damals als Zuständige für Frauenfragen versucht, mit anderen "Genossinnen" die Revolution auszurufen: Wir wollten durchsetzen, dass Menschen mit Kindern die Babysitterkosten, die während ihrer Parteisitzungen anfallen, erstattet werden. Die Revolution ist jedoch mangels Beteiligung ausgefallen. Ein männliches Mitglied des damaligen Distriktsvorstandes schaute mich ob meines Anliegens völlig entgeistert an und stellte ebenso entgeistert fest: "Das würde ja heißen, dass meine Frau dann hier auch mitmachen könnte." Ja, das hätte es geheißen.

Für die Grünen war es selbstverständlich, diese Betreuungskosten zu übernehmen.

Soweit zu meiner eigenen Vorgeschichte in Bezug auf den Frauentag. Auch heute noch, zwei Jahrzehnte später, ist mir täglich bewusst, dass die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen noch immer keine Selbstverständlichkeit ist. Und auch wenn das irgendwie schon wieder aus der Mode gekommen ist: Ich achte bei allen schriftlichen und mündlichen Äußerungen darauf, entweder geschlechterneutral ("Studierende") zu formulieren oder beide Geschlechter zu benennen - also z.B. von "Bürger(inne)n" zu reden. Dafür opfere ich sogar 6 wertvolle Zeichen auf Twitter*.

Nun aber zu meinem Hauptanliegen heute: Die taz veröffentlichte am 5. März 2012 einen kurzen Artikel  unter der Überschrift "Frauen in Afghanistan - Religionsrat greift Frauenrechte an". Demnach will der Religionsrat in Afghanistan durchsetzen, dass Frauen künftig (wieder!) gesetzlich verboten wird, ohne männliche Begleitung öffentliche Transportmittel zu benutzen und mit Männern in demselben Büro zu arbeiten. Und die Chancen, dass dieses tatsächlich ins Gesetz aufgenommen wird, stehen nicht schlecht. In der Verfassung heißt es: „In Afghanistan darf kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen.“

Mich machen solche Meldungen gleichermaßen depressiv und AGGRESSIV.

Bei meiner Recherche nach weiteren Artikeln zu diesem Thema stieß ich auf einen Spiegel-Bericht über ein bereits 2009 beschlossenes Gesetz für Anhänger des schiitischen Glaubens. Ich traute meinen Augen nicht, als ich las : "Die Frau ist verpflichtet, den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen." Außerdem dürften Ehemänner ihre Frauen von jeder "unnötigen" Beschäftigung abhalten. Dies sind nur zwei Beispiele für weitere Unglaublichkeiten.

n-tv berichtete über "Mehr Gewalt gegen afghanische Frauen - 15-Jährige schwer gefoltert". Dieser Bericht erinnerte mich fatal an das Buch "Tausend strahlende Sonnen" von Khaled Hosseini. Wer bei der Lektüre gehofft haben sollte, das sei halt nur ein Buch, kann jetzt und heute die Wirklichkeit nachlesen.

Und was passiert mit den Frauen des "Arabischen Frühlings" - den Frauen, die an vorderster Front für ihre Befreiung von Diktatoren gekämpft haben? Den Frauen, die es mit ermöglicht haben, dass endlich demokratische Wahlen stattfinden können bzw. konnten? Den Frauen, die ihre Hoffnungen auf die demokratische Wahl richten oder richteten? Ich hatte vor einiger Zeit eine heftige Online-Diskussion mit zwei Männern, die vehement dafür stritten, dass für die Menschen in Ländern wie Libyen der Erfolg der Revolution die demokratische Wahl ist -  und dass damit jetzt auch zweifellos alles besser ist als die vorherigen Zustände.

Ja, klingt erstmal gut. Wir sitzen hier hoch und trocken und freuen uns an der Selbstverständlichkeit, die Demokratie heißt. Unsere demokratischen Wahlen erzeugen immer wieder auch demokratische Regierungen. Das war allerdings auch schon mal anders in der deutschen Geschichte.

Ich aber höre und lese Berichte von und über Frauen, die Angst haben um ihre demokratischen Rechte - ja mehr und schlimmer als das: Sie haben Angst um ihre Menschenrechte. In der Tat ist das, was sich da manchmal im Anschluss an demokratische Wahlen und im Namen der Religion entwickelt, menschenverachtend. Und da unter dieser menschenverachtenden "Politik" überwiegend Frauen zu leiden haben, scheint mir doch bei vielen Männern im Umkehrschluss die Frau nicht richtig als Mensch zu gelten. Aktuelle Artikel zu diesem Thema habe ich im Spiegel ("Was Kristina Schröder aus Tunesien importiert") und in der taz ("Frauenrechte in Libyen - Wir müssen nicht ihre Hände küssen)" gefunden.

Nein, demokratisch gewählte Regierungen wählen nicht zwangsläufig die Demokratie. Das spüren vor allem Frauen.

Es macht mich traurig und wütend, dass Frauen in vielen Ländern dieser Erde gedemütigt,
unterdrückt und gnadenlos benachteiligt werden. Mit diesem winzigen Beitrag
zum Frauentag setze ich ein klitzekleines Zeichen. Aber ich setze wenigstens eins.

So, und was mache ich nun mit meiner Trauer und meiner Wut? Wenn ich mich überfordert fühle, etwas grundsätzlich zu ändern, dann neige ich manchmal zu symbolischen Ersatzhandlungen. So auch heute. Ich habe deshalb soeben ein klitzekleines Zeichen gesetzt und für ein unbekanntes Mädchen in Simbabwe Schulgeld bezahlt. Warum Simbabwe? Weil ich diese Art von symbolischen Ersatzhandlungen gern über "Oxfam unverpackt" abwickele und Oxfam setzt sich halt für mehr Bildungschancen von Mädchen in Simbabwe ein. Ich kann die vielen vielen Frauen dieser Erde, die ich gern unterstützen würde, eben nicht unterstützen. Deshalb ist es letztlich egal, wo das bisschen Geld schließlich landet.

Ich setze ein winziges Zeichen. Aber ich setze wenigstens eins. >>


Hinweis: Um nicht nur am 8. März an diesem Thema dranzubleiben, habe ich die Linkliste "Menschenrechte gelten auch für Frauen!" eingerichtet, die ich durch aktuelle Nachrichten und Berichte ergänze. Die Liste lässt sich auch abonnieren.

* Für Leser/innen, die sich mit Twitter nicht so gut auskennen: Dieser Kurznachrichtendienst erlaubt nur 140 Zeichen pro Nachricht - da können 6 Buchstaben manchmal richtig wertvoll sein.


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