Seit einiger Zeit schon schaue ich mir das neueste Lieblingsspielzeug der deutschen Protestbewegung mit seeehr gemischten Gefühlen an. Bisher hatte ich diesen Gefühlen keine größere Beachtung geschenkt. Bis heute. Seit heute habe ich genug von den Protestschlappen-in-die-Luft-Haltern und -Halterinnen. Jetzt gehe ich meinen Gefühlen nach und auf die Suche nach Hintergründen für dieses viel zitierte "Symbol der Verachtung".
Die Entdeckung des Schuhs als Protestmittel außerhalb der arabischen Welt hat wohl unbestritten mit dem mittlerweile legendären Schuhwurf eines irakischen Journalisten auf irakischem Territorium auf George W. Bush im Dezember 2008 zu tun. Die weltweite Aufmerksamkeit - der Schuhwurf fand anlässlich einer international besetzten Pressekonferenz statt - warf die Frage nach der Symbolik dieser Handlung auf. Angeblich habe der Journalist damit seine Verachtung gegenüber dem damaligen US-Präsidenten ausdrücken wollen. Mag sein, dass er das wollte.
Aber können wir, die wir nicht aus dem kulturellen Raum des Schuhwerfers stammen, wirklich beurteilen, was genau damit gemeint war? Und selbst wenn wir es könnten: Ist es nicht eine Anmaßung, dieses Symbol zu adaptieren und für deutsche Protestkultur irgendwie tauglich zu machen?
Die Nachrichtenagentur dpa bietet uns als "Hintergrund" einen kurzen Artikel zu diesem Thema an (den fast alle Medien in Deutschland unbesehen übernommen haben):
Die Binsenweisheit der dpa
Aber so etwas interessiert ja kaum eine/n Schuh-hoch-Halter/in. Hier interessiert nur die Deutung, der Schuh drücke Verachtung aus. Und wenn wir Guttenberg, Wulff oder Kretschmann verachten, dann gibts eben Schuhe zu gucken oder neuerdings auch an den Kopf. (Ich bin gespannt, ob irgendwann mal eine Frau öffentlich mit diesem Symbol bedacht wird - aber das wäre jetzt wieder ein ganz anderes Thema).
Die Geste der arabischen Schuhwerfer nachzuahmen ist schon Anmaßung genug, finde ich. Sie aber völlig zu verballhornen, indem man nicht etwa die eigenen Schuhe auszieht und als Protestmittel einsetzt, sondern extra Demo-Schuhe dafür vorhält, ist nur noch lächerlich.
Ja gut, wird jetzt vielleicht der eine oder die andere einwenden, ein bisschen Recht hat sie ja, aber muss sie sich deshalb so aufregen? So funktioniert das eben mit der Schaffung von Symbolen. Da verselbständigt sich dann schon mal was und erhält eine eigenständige Bedeutung.
Okay. Recht habt ihr. Bis hierher jedenfalls.
Denn ich rege mich weiter auf. Warum? Weil ich mir die Mühe gemacht habe, selber zu recherchieren, bevor ich meine ollen Latschen aus der Alt-Schuh-Sammlung wieder herausklaube und sie der Person meiner Verachtung künftig vor die Nase halte.
Bei dieser Recherche stieß ich recht schnell auf einen Aufsatz von Marco Schöller vom Institut für Arabistik und Islamwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: "Wenn die Sandale fliegt - Historisches zu einem »Gestus der Revolte« bei den Arabern". Und da erfahre ich,
Meine weitere Recherche führte mich zu einem Artikel aus "Die Presse", in dem über das Promotionsthema von Dr. Anne Sudrow - "Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte in Deutschland im Vergleich mit Großbritannien und den USA (1925-1950)" - berichtet wird. Dieser Artikel führte mich dann endgültig zu der Entscheidung, mich auf keinen Fall jemals in die Protestschlappen-Bewegung einzureihen. Ja, hier wird der Schuh als Symbol der Verachtung beschrieben - aber in einem Sinne, der nichts mit der Verachtung der Demonstrierenden gegenüber einem Bundes- oder Ministerpräsidenten zu tun hat.
Im Nationalsozialismus mussten die Häftlinge im KZ ihre Schuhe abgeben und sich stattdessen mit rohen Holzschuhen an den Füßen quälen. Das war Teil des "Entwürdigungsprogramms" - arische Häftlinge erhielten übrigens anständige Lederschuhe:
Mit Sicherheit lässt sich zum Thema Schuh und Symbolik noch eine Menge mehr recherchieren. Mir genügen zunächst einmal die Denkanstöße, die ich in meiner Samstagnachmittag-Recherche gefunden habe, um zu konstatieren: Der Schuh als Symbol für Verachtung ist in Deutschland so, wie er heute anscheinend zunehmend genutzt wird, völlig daneben.
Weil ich aber den Wunsch nach einem Symbol für Verachtung nachvollziehen kann, habe ich mir auch dazu Gedanken gemacht und zu einer ersten Idee gefunden. Wie zeige ich jemandem unmissverständlich meine Verachtung? Indem ich der von mir verachteten Person demonstrativ den Rücken zukehre. Dieses Mittel ließe sich auch medienwirksam einsetzen: Auf einer Veranstaltung dreht sich das Publikum demonstrativ um und dem Redner/der Rednerin den Rücken zu. Auf einer Demo werden Pappmasken getragen - vor dem Gesicht zeigt eine Maske den Hinterkopf, den Hinterkopf schmückt die Maske eines Gesichts. Eine Protestaktion auf Facebook oder g+ ließe sich unterstreichen, indem alle Protestierenden für einen verabredeten Zeitraum das Foto eines (ihres) Hinterkopfs an Stelle des Portraits (oder was man da sonst so anbietet) setzt.
Leute, werdet kreativ. Drückt eure Verachtung aus, wenn euch danach ist. Aber überlasst das Symbol der Schuhe denjenigen, die genau wissen, was sie damit meinen.
Symbolisiert die Verachtung, aber verachtet nicht das Symbol.
Die Entdeckung des Schuhs als Protestmittel außerhalb der arabischen Welt hat wohl unbestritten mit dem mittlerweile legendären Schuhwurf eines irakischen Journalisten auf irakischem Territorium auf George W. Bush im Dezember 2008 zu tun. Die weltweite Aufmerksamkeit - der Schuhwurf fand anlässlich einer international besetzten Pressekonferenz statt - warf die Frage nach der Symbolik dieser Handlung auf. Angeblich habe der Journalist damit seine Verachtung gegenüber dem damaligen US-Präsidenten ausdrücken wollen. Mag sein, dass er das wollte.
Aber können wir, die wir nicht aus dem kulturellen Raum des Schuhwerfers stammen, wirklich beurteilen, was genau damit gemeint war? Und selbst wenn wir es könnten: Ist es nicht eine Anmaßung, dieses Symbol zu adaptieren und für deutsche Protestkultur irgendwie tauglich zu machen?
Die Nachrichtenagentur dpa bietet uns als "Hintergrund" einen kurzen Artikel zu diesem Thema an (den fast alle Medien in Deutschland unbesehen übernommen haben):
Der Schuh gilt als Inbegriff von Unreinheit und Schmutz... Wenn ein Araber die Schuhe in der Hand trägt, legt er die Sohlen aneinander.Wenn dieses so stimmt: Ist den Demonstrant(inn)en mit der offen dargebotenen Sohle ihres Protestschlappen (danke, Florian Hartmann, für dieses herrliche Wort) eigentlich bewusst, dass sie damit ihre Mitstreiter/innen schwer beleidigen?
Die Binsenweisheit der dpa
Die Wohnung eines Gastgebers mit Schuhen zu betreten, wäre grob unhöflich,bringt mich richtig auf die Palme. Erstens ist es auch bei uns in vielen Haushalten üblich, die Schuhe auszuziehen. Zweitens sind Straßenschuhe selbstverständlich aus dem Wohnbereich verbannt, wenn man sich traditionsgemäß zum Essen im Schneidersitz um ein reichlich gedecktes Tischtuch auf dem Fußboden niederlässt.
Aber so etwas interessiert ja kaum eine/n Schuh-hoch-Halter/in. Hier interessiert nur die Deutung, der Schuh drücke Verachtung aus. Und wenn wir Guttenberg, Wulff oder Kretschmann verachten, dann gibts eben Schuhe zu gucken oder neuerdings auch an den Kopf. (Ich bin gespannt, ob irgendwann mal eine Frau öffentlich mit diesem Symbol bedacht wird - aber das wäre jetzt wieder ein ganz anderes Thema).
Die Geste der arabischen Schuhwerfer nachzuahmen ist schon Anmaßung genug, finde ich. Sie aber völlig zu verballhornen, indem man nicht etwa die eigenen Schuhe auszieht und als Protestmittel einsetzt, sondern extra Demo-Schuhe dafür vorhält, ist nur noch lächerlich.
Ja gut, wird jetzt vielleicht der eine oder die andere einwenden, ein bisschen Recht hat sie ja, aber muss sie sich deshalb so aufregen? So funktioniert das eben mit der Schaffung von Symbolen. Da verselbständigt sich dann schon mal was und erhält eine eigenständige Bedeutung.
Okay. Recht habt ihr. Bis hierher jedenfalls.
Denn ich rege mich weiter auf. Warum? Weil ich mir die Mühe gemacht habe, selber zu recherchieren, bevor ich meine ollen Latschen aus der Alt-Schuh-Sammlung wieder herausklaube und sie der Person meiner Verachtung künftig vor die Nase halte.
Bei dieser Recherche stieß ich recht schnell auf einen Aufsatz von Marco Schöller vom Institut für Arabistik und Islamwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: "Wenn die Sandale fliegt - Historisches zu einem »Gestus der Revolte« bei den Arabern". Und da erfahre ich,
...wie man den Gestus des »Schuhwerfens« bis in die Gegenwart zu verstehen hat: Indem man die Schuhe – oder in alten Zeiten die Sandalen – auszieht und fortschleudert, sagt man sich von einer Person los. Es ist demnach ein Gestus der Aufkündigung und der Lossagung, nicht so sehr der Verächtlichmachung. So wird man es auch heute noch verstehen müssen, obwohl manche westliche Beobachter fälschlich annehmen, das Werfen von Schuhen sei einfach eine aggressive Handlung und man könnte anstatt Schuhen auch andere Dinge werfen; insinuiert wird dabei zugleich, daß Schuhe, weil an ihnen der Dreck der Straße hafte, ein besonders geeignetes Objekt seien, dieVerachtung gegenüber einer Person auszudrücken. Aber das ist nicht gemeint. Ebensowenig ist es korrekt, ... daß das Hochhalten der Schuhe auf Kairos Tahrîr-Platz bedeute, Mubarak solle sich davonmachen und gewissermaßen 'seine Schuhe anziehen und gehen' ... Ihm (dem ersten überlieferten Schuhwerfer) ging es um die Erhaltung der eigenen Macht und die Unabhängigkeit vom Kalifen.Vielleicht war ja der Schuhwurf gegen George W. Bush Ausdruck genau dieses Gedankens? Vielleicht. Wer weiß das schon genau?
Meine weitere Recherche führte mich zu einem Artikel aus "Die Presse", in dem über das Promotionsthema von Dr. Anne Sudrow - "Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte in Deutschland im Vergleich mit Großbritannien und den USA (1925-1950)" - berichtet wird. Dieser Artikel führte mich dann endgültig zu der Entscheidung, mich auf keinen Fall jemals in die Protestschlappen-Bewegung einzureihen. Ja, hier wird der Schuh als Symbol der Verachtung beschrieben - aber in einem Sinne, der nichts mit der Verachtung der Demonstrierenden gegenüber einem Bundes- oder Ministerpräsidenten zu tun hat.
Im Nationalsozialismus mussten die Häftlinge im KZ ihre Schuhe abgeben und sich stattdessen mit rohen Holzschuhen an den Füßen quälen. Das war Teil des "Entwürdigungsprogramms" - arische Häftlinge erhielten übrigens anständige Lederschuhe:
Mehr noch als andere Teile war der Schuh ein wirksames Mittel der Verachtung oder des vergönnten Privilegs. Sudrow schreibt von der KZ-Lagerhierarchie, in der deutsche und „arische“ Häftlinge als besonderes Privileg Lederschuhe tragen durften...Jetzt betrachte ich die riesigen Schuhberge, die ich als Schülerin mit Grausen in einem Dokumentarfilm über den Nationalsozialismus gesehen habe, noch einmal mit anderen Augen.
Mit Sicherheit lässt sich zum Thema Schuh und Symbolik noch eine Menge mehr recherchieren. Mir genügen zunächst einmal die Denkanstöße, die ich in meiner Samstagnachmittag-Recherche gefunden habe, um zu konstatieren: Der Schuh als Symbol für Verachtung ist in Deutschland so, wie er heute anscheinend zunehmend genutzt wird, völlig daneben.
Weil ich aber den Wunsch nach einem Symbol für Verachtung nachvollziehen kann, habe ich mir auch dazu Gedanken gemacht und zu einer ersten Idee gefunden. Wie zeige ich jemandem unmissverständlich meine Verachtung? Indem ich der von mir verachteten Person demonstrativ den Rücken zukehre. Dieses Mittel ließe sich auch medienwirksam einsetzen: Auf einer Veranstaltung dreht sich das Publikum demonstrativ um und dem Redner/der Rednerin den Rücken zu. Auf einer Demo werden Pappmasken getragen - vor dem Gesicht zeigt eine Maske den Hinterkopf, den Hinterkopf schmückt die Maske eines Gesichts. Eine Protestaktion auf Facebook oder g+ ließe sich unterstreichen, indem alle Protestierenden für einen verabredeten Zeitraum das Foto eines (ihres) Hinterkopfs an Stelle des Portraits (oder was man da sonst so anbietet) setzt.
Leute, werdet kreativ. Drückt eure Verachtung aus, wenn euch danach ist. Aber überlasst das Symbol der Schuhe denjenigen, die genau wissen, was sie damit meinen.
Symbolisiert die Verachtung, aber verachtet nicht das Symbol.
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